Fünf Verkehrstote auf einem einzigen Highway-Abschnitt in Florida – während auf der berüchtigten Isle of Man TT 2025 niemand starb. Ein beschämendes Armutszeugnis für die Verkehrssicherheit in den USA.
Ein orangefarbenes Schild am Straßenrand des U.S. Highway 1 in Florida verkündet nüchtern: „Florida Keys – 5 Fatalities This Year – Drive Carefully.“ Fünf Verkehrstote. Auf einem einzigen Straßenabschnitt. In einem Jahr. Die Warnung wirkt wie ein Schulterzucken in Schildform – als sei der Tod auf der Straße eine unvermeidliche Naturgewalt, gegen die man ohnehin nichts tun kann.

Halten wir kurz inne und vergleichen diese Zahl mit einem Ereignis, das weltweit als eines der gefährlichsten Motorradrennen gilt: der Isle of Man Tourist Trophy. Bei der TT 2025 gab es keine tödlichen Unfälle – und das zum zweiten Mal in Folge. Null Tote bei einem Rennen, bei dem Motorräder mit über 300 km/h durch enge Ortschaften rasen, bei dem Mauern, Bäume und Bordsteinkanten die Strecke säumen. Ein Rennen, das seit jeher für seine Gefährlichkeit bekannt ist.
Ein Highway gefährlicher als ein Todesrennen
Die Ironie könnte kaum größer sein. Während die Veranstalter der TT in jahrelanger Arbeit Sicherheitsmaßnahmen entwickelt, Streckenabschnitte entschärft und medizinische Notfallteams strategisch positioniert haben, sterben auf einem ganz gewöhnlichen Highway in Florida mehr Menschen als bei einem der extremsten Motorsport-Events der Welt.
Der U.S. Highway 1 durch die Florida Keys ist keine Rennstrecke. Es ist eine zweispurige Straße, auf der die erlaubte Geschwindigkeit bei etwa 70-90 km/h liegt. Keine 300 km/h. Keine engen Kurven durch mittelalterliche Dorfstraßen. Keine Fahrer, die bewusst ihr Leben riskieren. Nur ganz normale Menschen auf dem Weg zur Arbeit, in den Urlaub, nach Hause.
Und trotzdem: fünf Tote.

Schilder statt Sicherheit
Die Reaktion der Behörden ist bezeichnend: Man stellt ein Schild auf. „Drive Carefully“ – fahren Sie vorsichtig. Als ob die Menschen nicht bereits vorsichtig fahren wollten. Als ob ein orangefarbenes Blech am Straßenrand das Problem lösen könnte. Es ist das politische Äquivalent zu „Thoughts and Prayers“ – gut gemeint, aber vollkommen wirkungslos.
Wo sind die baulichen Maßnahmen? Wo sind die Geschwindigkeitskontrollen, die Mitteltrennungen, die bessere Straßenbeleuchtung? Wo sind die Investitionen in Straßeninfrastruktur, die in anderen entwickelten Ländern längst Standard sind? Auf deutschen Landstraßen gibt es Leitplanken, Wildschutzzäune, taktile Fahrbahnmarkierungen. In den Niederlanden werden Kreuzungen so gestaltet, dass gefährliche Situationen gar nicht erst entstehen können.
In Florida gibt es ein Schild.
Die erschreckende Normalität des Sterbens
Besonders verstörend ist die Selbstverständlichkeit, mit der diese Todeszahlen präsentiert werden. „5 Fatalities This Year“ – als wäre das eine Wettervorhersage. Keine Empörung, kein Skandal, keine politische Debatte. Nur eine weitere Statistik auf einer langen Liste vermeidbarer Todesfälle.
Laut der National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) starben 2022 in den USA über 42.000 Menschen bei Verkehrsunfällen. Das sind mehr Tote als durch Schusswaffen (ohne Suizide). Mehr als durch Überdosierungen von verschreibungspflichtigen Medikamenten. Es ist als ob jeden Tag ein vollbesetztes Flugzeug abstürzen würde – nur dass es niemanden mehr zu interessieren scheint.

Was die Isle of Man richtig macht
Die Isle of Man TT hat verstanden, dass Sicherheit keine Frage des Zufalls ist, sondern des Willens. Nach tödlichen Unfällen in vergangenen Jahren wurden konkrete Maßnahmen ergriffen: verbesserte Streckenbegrenzungen, zusätzliche medizinische Versorgungspunkte, strengere technische Kontrollen der Motorräder, verpflichtende Sicherheitsbriefings für alle Teilnehmer.
Niemand behauptet, die TT sei ungefährlich geworden. Aber die Zahlen sprechen für sich: zwei Jahre ohne Todesfall bei einem Event, das als eines der gefährlichsten der Welt gilt. Das zeigt, dass selbst unter extremsten Bedingungen Verbesserungen möglich sind – wenn man sie denn will.
Eine Frage der Prioritäten
Die USA geben jährlich Milliarden für den Ausbau von Highways aus, doch ein erschreckend geringer Teil fließt in Sicherheitsmaßnahmen. Stattdessen wird die Verantwortung individualisiert: „Drive Carefully“ – du bist selbst schuld, wenn etwas passiert. Diese Haltung ignoriert grundlegende Erkenntnisse der Verkehrsplanung: Menschen machen Fehler. Immer. Gute Infrastruktur ist so gestaltet, dass diese Fehler nicht tödlich enden.
In Skandinavien verfolgt man seit Jahren die „Vision Zero“ – das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten auf null zu reduzieren. Nicht als unerreichbare Utopie, sondern als ethische Verpflichtung und politisches Programm. Das Ergebnis: Die Verkehrstoten pro Kopf sind dort nur ein Bruchteil der amerikanischen Zahlen.
Fazit: Schilder sind keine Sicherheitspolitik
Wenn ein gewöhnlicher Highway in Florida gefährlicher ist als die Isle of Man TT, dann ist das kein Zufall. Es ist das Ergebnis jahrzehntelanger Vernachlässigung, fehlenden politischen Willens und einer gefährlichen Gleichgültigkeit gegenüber vermeidbaren Todesfällen.
Fünf Menschen sind auf dem U.S. Highway 1 gestorben. Nicht bei einem waghalsigen Rennen. Nicht bei einem freiwilligen Risiko. Sondern einfach auf dem Weg durchs Leben. Und die einzige Reaktion ist ein orangefarbenes Schild, das den nächsten Fahrern rät, vorsichtig zu sein.
Das ist nicht nur ein Versagen der Verkehrspolitik. Es ist ein Versagen der Verantwortung gegenüber denen, die diese Straßen benutzen müssen. Und es ist beschämend.

